Erfolgreiche Ringer: Sobhanallah Mohammadi (l.) und Arsen Tamoyan ringen in der Landesligamannschaft des ASV Atlas. Mohammadi war sogar schon viermal NRW-Landes- und dreimal Westfalenmeister. | © Sarah Jonek ASV Atlas: Sobhanallah Mohammadi und Arsen Tamoyan haben beim SSB die Übungsleiterlizenz Breitensport erworben Hans-Joachim Kaspers Bielefeld. Es ist alles wie immer an diesem Trainingsabend beim ASV Atlas. Auf zwei großen Ringermatten tummeln sich große und kleine, schwergewichtige und leichtere Kämpfer und versuchen die Anweisungen von Trainer Alex Zilke umzusetzen. Es wird Deutsch gesprochen, aber immer wieder fliegen auch türkische, russische, persische oder auch arabische Brocken durch die Luft. "Wir sind und waren eigentlich schon immer ein multikultureller Verein", sagt Geschäftsführer Jürgen Zilke. Felix Lüppens, beim Stadtsportbund für den Bereich Integration im Sport zuständig, packt in seine Charakterisierung des Klubs ein dickes Lob: "Der ASV Atlas leistet Integrationsarbeit par excellence, er ist in dieser Hinsicht in Bielefeld ein echtes Aushängeschild." Mitten drin im Geschehen stecken Sobhanallah Mohammadi und Arsen Tamoyan. Der 22-jährige Afghane und der 21-jährige Armenier sind seit fünf Jahren in Deutschland, der ASV Atlas ist seit den ersten Tagen in dem neuen unbekannten Land ihre sportliche Heimat - und ein bisschen mehr als das. "Ich konnte kein Wort Deutsch, wir mussten uns mit Gesten verständigen, was außerhalb der Matte natürlich schwierig war", erinnert sich Mohammadi an seine Anfänge bei den "Atlanten". Es sei einfach nur großartig gewesen, wie er aufgenommen worden sei, meint er, heute hat er viele Freunde im Verein, ist voll akzeptiert. Das gleiche gilt für Arsen Tamoyan, der 2012 nach Deutschland kam, um eine komplizierte Rückenverletzung behandeln zu lassen. Nach dem Ende der Therapie beschloss er aus familiären Gründen, nicht mehr nach Armenien zurückzugehen. Über seinen Asylantrag soll bis März nächsten Jahres entschieden werden. Noch dramatischer stellen sich die Hintergründe für die Flucht von Sobhanallah Mohammadi dar. "Mein Vater wurde von den Taliban ermordet, und da sie immer auch die männlichen Nachkommen ihrer Feinde töten, war klar, was mit mir geschehen würde", schildert Mohammadi seine damalige Situation. Die Mutter und die Familie seiner Schwester versteckten ihn zunächst, doch als die Drohungen der Taliban immer konkreter wurden, flohen sie von Kundus nach Kabul und schickten Sobhanallah nach Deutschland. "Wenn ich nach Afghanistan zurückgehe, ist es nur eine Frage der Zeit, wann die mich erwischen", stellt er klar, "dass ich nie mehr zurück kann" - eine Einschätzung, der sich auch die Ausländerbehörde anschloss, die ihm nach eineinhalb Jahren das Bleiberecht einräumte. Mit dem Asylbescheid in der Tasche fiel es Mohammadi leichter als Tamoyan, in seiner neuen Heimat Fuß zu fassen: Der Afghane absolviert zur Zeit eine Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenführer und macht parallel einen Realschulabschluss - im Mai will er fertig sein. Auch Tamoyan will einen Schulabschluss nachholen, hängt aber wegen seines unsicheren Status immer noch in der Luft. »Auf der Matte kann ich viele Dinge vergessen« Im Sport haben sich beide dagegen schon weiter qualifiziert. "Sobhan und Arsen haben an einem Lehrgang der Sportjugend Bielefeld im Rahmen des Bundesprogramms 'Integration durch Sport' teilgenommen und ein Diplom als Übungsleiter im Breitensport erhalten", freut sich Felix Lüppens, der die beiden Atlas-Ringer als "echte Vorbilder" beschreibt: "Beide sind mit Feuereifer bei der Sache, wollen Verantwortung übernehmen", sagt Lüppens. Die gezeigte Bereitschaft, sich integrieren zu wollen, könne bei Tamoyan sogar Relevanz in seinem Asylverfahren bekommen, so der Mann vom SSB weiter. Auch Alexander Zilke, der 2. Vorsitzende des ASV Atlas, lobt das Duo: "Die beiden sind immer da, wenn man sie braucht - zwei echte Stützen unseres Vereins!" Für beide Ringer ist ihr Sport enorm wichtig. "Auf der Matte kann ich vieles vergessen", sagt Tamoyan, der in dieser Saison erstmals im Landesligateam des ASV Atlas antrat und gleich drei von acht Kämpfen gewann. Mohammadi ist schon ein ganzes Stück weiter, hat im Atlas-Trikot bereits vier Landesmeister- und drei Westfalenmeistertitel errungen und ist mit neun Siegen die Nummer eins des Landesliga-Teams. Und seine Klasse hat sich in der Szene herumgesprochen. "Ich hatte schon Angebote aus Dortmund und Essen, mit allem Drum und Dran", erzählt er - es sei aber ganz klar gewesen, dass er dem ASV Atlas die Treue halte. Weihnachten - ein Fest, das es in ihren Herkunftsländern nicht gibt - haben sie in Deutschland schätzen gelernt. "Für uns ist das natürlich kein Familienfest, denn wir sind ja alleine hier", sagt Mohammadi. Dementsprechend wird Tamoyan mit Freunden "lecker essen gehen und ein bisschen Spaß haben." Mohammadi hilft dagegen, obwohl nach wie vor Muslim, in der Brackweder Kirchengemeinde bei der Organisation des Gottesdienstes. Er bereitet ein Kaffeetrinken für ältere Menschen vor, holt die Teilnehmer auch ab und bringt sie am Abend wieder zurück. Integration kann manchmal so einfach sein. LInformation
Integration durch Sport Das bundesweite Programm „Integration des Sports" ist auf Initiative des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) ins Leben gerufen worden. Mit seiner Umsetzung sind die Landes- und Stadtsportbünde betraut. In Nordrhein-Westfalen sind insgesamt 75 Vereine in das Programm aufgenommen worden. Der Sportbund Bielefeld hat neben dem ASV Atlas auch den SC Bielefeld 04/26, die SV Brackwede und Bellzett zu Stützpunktvereinen erklärt. Der DOSB unterstützt die Maßnahme mit der Einrichtung und Bezahlung von Fachkraft-Stellen, die beim Sportbund Bielefeld Felix Lüppens innehat. Link zum Originalbeitrag der Neuen Westfälischen: http://www.nw.de/sport/lokalsport/bielefeld/lokalsport_bielefeld/22012134_Zwei-Ringer-als-Vorbild-fuer-eine-gelungene-Integration.html
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AutorenMareike Sobania Kategorie
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Februar 2024
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